Schlauchbootfahrt auf dem Rhein 2001

23.08.-26.08.2001

 

Die Idee, mit dem Schlauchboot auf dem Rhein zu fahren hatte ich, als ich einmal in Basel war und dort gesehen habe wie Leute im Rhein schwammen. Sie gingen am Ufer flussaufwärts, sprangen hinein und schwammen dann durch die Stadt. Es gibt sogar jedes Jahr im August einen Tag, der zum offiziellen Rheinschwimmertag erklärt wird. Ich habe es damals auch probiert, bin oberhalb von Basel in den Rhein gegangen und habe mich von der Strömung mitreißen lassen. Ich fand es ein echtes Erlebnis, bedauerte nur, dass es ein kurzes Vergnügen war, weil die Strömung stark war und man sich schnell von seinem Ausgangspunkt entfernt hatte. Es hat mich gereizt, eine weitere Strecke zu schwimmen - oder noch besser mit dem Schlauchboot zu fahren...
Diesen Wunsch erfüllte ich mir zwei Jahre später, nämlich am 23. August 2001. Es war eine kurzfristige Entscheidung. Der Wetterbericht hatte noch ein paar richtig heiße Tage vorhergesagt und ich hatte gerade Zeit für eine solche Fahrt.

 

1. Tag:

Am Donnerstag morgen ging es los. Nicht zu früh, sonst wäre das in Stress ausgeartet. Ich fuhr mit dem 9.30-Zug nach Süden. Im Gepäck ein Schlauchboot vom Aldi mit Paddeln und eine Tasche mit etwas Kleidung, Badehose, Handtuch, Trinkflaschen, Essen. Also nichts Besonderes, kein Wildwasserkanu, kein Allzweckmesser mit Säge, Schraubenzieher und Zahnstocher, keine Seenotraketen und kein YPS-Überlebensset für die Wildnis.  Ich wollte ja auf dem Rhein fahren, nicht auf dem Amazonas.

(Karte zum Vergrößern anklicken)


Ich ließ offen, wo ich mit meinem Schlauchboot genau losfuhr und wie lang die Fahrt dauern würde. Mit dem Zug fuhr ich über Karlsruhe, Freiburg nach Basel. Dort stieg ich um, weiter Richtung rheinaufwärts. Ich fuhr bis Schaffhausen, machte einen Stadtbummel, besorgte mir ein paar Schweizer Franken und füllte meinen Futtervorrat auf, nachdem ich im Zug schon die Hälfte meines Vespers verzehrt hatte. Auch eine Karte vom Rhein kaufte ich mir. An der Sprache fiel auf, dass ich mich auf Schweizer Boden befand (Grüezi und so). Mit dem Bus fuhr ich zum Rheinfall, der sehr eindrucksvoll war. Ein tolles Bild, wie die Wassermassen eine Gesamthöhe von 23 Metern hinabstürzen. Man konnte auf einer Brücke zu Fuß den Rhein überqueren oder mit einem Ausflugsboot zu einem Felsen fahren, der mitten im Strom steht. Solche Sperenzchen ließ ich sein, denn mein Schlauchboot und die Tasche waren schwer genug und ich wollte keine unnötigen Wege gehen.

           

Unterhalb des Rheinfalls pumpte ich das Schlauchboot auf, in einer Ecke wo nicht zu viele Leute vorbeikommen. Auf warnende Hinweise von Passanten hatte ich keine Lust. Bis ich das Boot endlich zu Wasser lassen konnte, war es Nachmittag, vielleicht 14 Uhr. Schnell noch ein paar Brombeeren von einem Strauch gepflückt, der aus einem Garten heraus wuchs, dann stieg ich in das Boot und stieß mich vom Ufer ab. Wohin die Reise ging, wie lang sie sein würde und was mich erwarten könnte, wusste ich nicht. Aber genau das war es, was mich reizte.
Die Strömung war stark und es ging flott voran. Ehe ich mich versah, war ich dem Touristennest am Rheinfall entflohen. Die Sonne schien heiß von oben und ich konnte mich nach den Reisestrapazen und der Schlauchbootschlepperei endlich gemütlich zurücklehnen. Ich kann es kaum beschreiben. Es war wunderbar und genau so wie ich es mir vorgestellt hatte. Einfach so daliegen, sich treiben lassen, die Landschaft wie einen Film vorbeiziehen zu lassen. Es war super, fantastisch, unglaublich und so perfekt, dass ich überlegte, wo bei der Sache der Haken ist. Da hörte ich auch schon das leise Zischen, während die Luft entwich und sich die Luftkammern leerten - dachte ich, aber nichts dergleichen passierte! Ich glitt einfach so dahin. Ganz ruhig und sachte, als gäbe es keine Strömung. Nur wenn ich ans Ufer schaute, sah ich wie schnell ich wirklich war. Das Boot drehte sich manchmal von selbst, als wollte der Rhein mir alle Ansichten von sich zeigen.


Ich kam an einer Badeanstalt vorbei, wo man im Rhein schwimmen konnte. Dort machte ich halt, sprang von einem Sprungbrett ins Wasser und ließ mich schwimmenderweise bis zu dem Ausstieg etwas weiter flussabwärts treiben. Also so etwas wie in Basel, nur auf kleinstem Raum. Auch habe ich hier in Ufernähe ausprobiert, ob ich vom Wasser aus in das Boot klettern kann, falls ich einmal in diese Verlegenheit kommen sollte. Das hat funktioniert und so wusste ich, dass ich auch mitten auf dem Fluss vom Boot aus baden konnte. Ich fuhr weiter.


Manchmal saßen Leute am Ufer und grillten, ich sah Pfadfindergruppen, Familien, ein Stück begleiteten mich zwei Luftmatratzenfahrer, die sich wohl in der Nähe des Schlauchboots sicherer fühlten. Obwohl so ein großer Fluss sehr mächtig sein kann, wie ich beim Rheinfall gesehen hatte, fühlte ich mich auf dem breiten Fahrwasser sehr wohl. Etwas unsicher ist man vorher schon, wenn andere Leute warnen: Was? Mit einem Aldi-Schlauchboot fährst du auf dem Rhein rum? Wenn da etwas passiert! Und es ist niemand dabei! Hast du keine Schwimmweste mit? Viel zu gefährlich! usw.. Bisher ging alles reibungslos. Der Wetterbericht hatte Traumtemperaturen vorhergesagt. Es war schon etwas leichtsinnig, dass ich noch nicht einmal eine Jacke dabei hatte, das gebe ich zu. Aber ich darf vorwegnehmen, dass ich sie auch nicht gebraucht habe.

Irgendwann kam bei Rheinau das erste Stauwehr. Hier musste ich das Boot herausnehmen und unterhalb wieder reinsetzen. Es gibt elektrische, ferngesteuerte Wagen, mit denen man das Boot umsetzen kann. Diese fahren auf Schienen in das Wasser, man rudert an die richtige Stelle und der Wagen fährt zurück, holt dabei das Boot aus dem Wasser und setzt es unterhalb des Wehrs wieder hinein. Es gibt eine zentrale Stelle, wo jemand die Wagen von mehreren Stauwehren steuert und die Umsetzung mit Kameras überwacht. Mit meinem Schlauchboot war mir das zu peinlich, extra die Leute zu bemühen und so ich habe es getragen. Ich wollte nicht, dass die nur wegen eines Schlauchbootes ihren Wagen in Gang setzen.

Hinter dem Stauwehr war plötzlich die Strömung weg. Ich konnte das zuerst gar nicht verstehen. Das Wasser muss doch irgendwo hinfließen und kann nicht einfach weg sein! Das ist doch unlogisch! Bei einem Blick auf die Karte ahnte ich, was hier passierte. Der Rhein floss in einer weiten Schleife und kam dann in vielleicht 1km Entfernung von dem ersten Stauwehr wieder vorbei. An dieser Stelle gab es wieder ein Stauwehr. Das sieht aus, als würde ein Großteil des Wassers eine Abkürzung fließen. Anwohner bestätigten später die Vermutung: Es gab ein Kraftwerk, das das Wasser bei dem oberen Stauwehr abzapfte. Es wurde durch Rohre in das Kraftwerk und hinter der Schleife wieder in den Rhein geleitet. Klar, dass in der Schleife fast keine Strömung war. Das musste ich durch Muskelkraft ausgleichen. Was so viel heißt wie: An die Ruder! Während ich mir vorher wirklich ein bisschen vorkam wie auf dem Amazonas, fühlte ich mich jetzt wie in einer phönizischen Galeere.

Dafür war die Gegend schön. Ein altes Kloster im Ort Rheinau stand am oder fast schon im Wasser auf einer Insel, die durch eine Holzbrücke zu erreichen war. Die Sonne ging langsam unter und ich fragte Leute auf einem am Ufer liegenden Boot, wo man übernachten kann. Die waren sehr nett, sagten, es gäbe im nächsten Ort Altenburg einen Gasthof. Sie boten mir noch eine Grillwurst an, aber ich lehnte dankend ab. Ist nicht so mein Ding, aber nett war es trotzdem. Ich ruderte weiter bis zum nächsten Stauwehr, wo noch mehr Boote an einem Steg lagen. Sie gehörten Ausflüglern, die ein paar Kilometer rheinaufwärts oder abwärts fahren und dort picknicken. Mein Boot konnte ich dort festbinden und im Wasser lassen. Es gab ja kaum Strömung und da kamen auch nicht viele Leute vorbei.

 

Der Gasthof war ein Biergarten, größtenteils mit Altherrenpublikum. Auch nicht ganz billig: 65DM für eine Übernachtung mit Frühstück für eine Person. Aber ich hatte keine Wahl. Abends ging ich im Ort spazieren. Dort gab es nicht viel, eine Pizzeria, ein Bistro und mehr Katzen als Einwohner (so kam es mir vor). Es gab einen Keltenwall mit Blick auf den Rhein. Sehr schön. Für große Unternehmungen und Bistrogänge war ich zu müde. Im Zimmer musste ich warten bis die grölenden Herren im Biergarten so um 23 Uhr gegangen waren. Die Nachtruhe war nicht so entspannend, weil immer wieder Mücken an meinem Ohr vorbei flogen. Das hieß für mich: Licht an, 3 Mücken totschlagen und wieder hinlegen. Dann dachte ich, ich hätte alle erwischt, aber von wegen. Die Prozedur wiederholte sich alle paar Stunden. Und trotzdem war ich am nächsten Tag verstochen.

 

2. Tag:

Das Frühstück war ok. War halt Aldi-Kram ganz nett serviert. Viele andere Gäste waren nicht da. Nur ein Schwabe, der versucht hat, den Preis zu drücken, weil er zu dem Frühstück selber Brötchen mitgebracht hat! Fand ich äußerst peinlich!
Meine größte Sorge war, dass mein Schlauchboot nicht mehr da war und was ich machen würde, wenn es weg wäre! Doch kein Problem. Das treue Boot erwartete mich im Wasser. Aber etwas hatte sich verändert: Der Rhein hatte in der Schleife plötzlich starke Strömung! Die unterhalb liegende Schleuse war geöffnet. Das Umsetzen von Booten bei diesem Stauwehr musste man auf der anderen Seite des Rheins machen. Das war nicht ganz einfach, bei der Strömung schnell und noch vor dem Wehr auf die andere Seite zu kommen. Ich probierte aus, wie stark ich gegen die Strömung rudern konnte und es wäre schon gegangen. Aber trotzdem haben Leute, die ich am Vortag schon gesehen hatte, darauf bestanden, mich mit ihrem Motorboot rüber zu ziehen. Das taten sie dann auch. Sie waren mit ihrem Boot Richtung stromabwärts unterwegs und sagten, ich könne ruhig so einen ferngesteuerten Wagen für mein Schlauchboot benutzen. Zuerst ließen sie ihr Boot umsetzen, dann kam der Wagen zurück, fuhr auf mich zu und tauchte vor mir halb in das Wasser ein. Ich ruderte ihm entgegen. Um schneller agieren zu können war ich in die Hocke gegangen. Ein Fehler, denn der Wagen hatte einen Metallboden mit Profil für mehr Rutschfestigkeit. Das Boot setzte etwas hart auf dem Boden auf und ich hoffte, dass das Schlauchboot nicht beschädigt wurde. In dem Moment hatte ich aber andere Sorgen und musste mich um die Umsetzung kümmern. Später merkte ich, dass doch eine der beiden Bodenkammern bei der Aktion ein Loch bekommen hatte. Nicht so schlimm, denn die Bodenkammern sind für die Schwimmfähigkeit des Bootes nicht erforderlich. Und Flickzeug hatte ich dabei.

     


Die Umsetzung bei der Schleuse hat dafür gut geklappt. Der Wagen fuhr auf Schienen aus dem Wasser. Darauf lag das Schlauchboot, in dem ich saß wie ein Badewannenkapitän. Ich fuhr seitlich an dem Stauwehr vorbei. Der Wagen fuhr nach unten und ich wurde unterhalb des Stauwehrs zu Wasser gelassen und konnte die Fahrt fortsetzen. Es folgte ein weiteres Wehr. Diesmal war ich Profi und verlagerte mein Gewicht beim Auffahren auf den Rand des Bootes, so dass der Boden nicht hart aufsetzte. Alles klappte bestens. Dann hatte ich die Schleife im Rhein hinter mich gebracht und kam an die Stelle, wo das Wasser aus dem Kraftwerk wieder eingeleitet wurde. Ab hier hatte ich wieder richtig gute Strömung und es ging mit voller Fahrt weiter.
Manchmal wurde der Rhein breiter und flacher, so dass ich den Grund sehen konnte. Die hellen Steine in 2 Meter Tiefe huschten unter mir vorbei. Es ging an Ortschaften vorbei, Weinbergen, unter einer Brücke hindurch. Da fiel mir auf, dass dies die erste Brücke auf meiner Fahrt war. Es folgte eine weitere, tiefere Brücke, nicht ganz 10 Meter hoch, von der Jungs und Mädels herab sprangen. Die hatten einen Riesenspaß und es war ein Gegröle und Gejohle. Einige stellten sich auf ein Brett, das an der Brücke befestigt war. Auf diesem Brett konnten sie nur durch die Strömung Wasserski fahren. Ich fuhr als Zuschauer mitten durch das Geschehen und ließ die Szene hinter mir. Wenn ich nicht durch einen Ort fuhr, bildeten Wald oder Wiese das Ufer. Da saß mal ein Angler oder Leute, die Picknick machten. Ab und zu fuhr jemand in einem Boot vorbei, aber in einem Schlauchboot sah ich sonst niemand.
 


In dem Ort Eglisau machte ich halt, um die defekte Luftkammer zu flicken, denn sie hatte sich schon mit Wasser gefüllt und es wurde kühl von unten, was bei den hohen Temperaturen aber nichts machte. An einer Liegewiese am Ufer gingen die Leute baden und dies schien mir der richtige Ort für eine Rast zu sein. Ich ließ einen 4-jährigen Jungen mit meiner Luftpumpe spielen, während ich versuchte, die Kammer zu reparieren. In der Anleitung zum Flickzeug stand, man solle die geklebte Stelle 24 Stunden trocknen lassen, bevor man wieder Luft hinein pumpt! So viel Zeit hatte ich natürlich nicht. Aber ich hatte noch einen selbstklebenden Billigflicken von einem Kinderschlauchboot dabei. Darauf stand: Abziehen, draufkleben und 20 Minuten trocknen lassen. Das war schon eher interessant für mich! Also folgte ich der Anleitung, klebte den Flicken, wartete 20 Minuten, in denen ich neugierige Fragen von Leuten beantworten musste, wo ich herkam und wo ich hinwollte. Jetzt fühlte ich mich wie Christoph Kolumbus als er Amerika entdeckt hatte und von den Einheimischen begrüßt wurde. Die Leute wollten wissen, ob ich wirklich bis Basel fahren wollte. Das war zwar mein Ziel, aber wenn ich auf der Karte guckte, wie weit ich bisher gekommen war, war das schon utopisch. Der Rhein fließt nicht gerade Luftlinie und hat manchmal mehr, manchmal weniger Strömung. Zudem gab es die Unterbrechungen durch Stauwehre. Der Vater von dem Jungen, der immer noch mit der Pumpe spielte, sagte, es käme bald ein großes altes Wasserkraftwerk, das sehr sehenswert sei. Es war nicht leicht, die Leute gut zu verstehen. Ich kam mir vor wie im tiefsten Schweizer Ur-Kanton. Nur wenn die Leute sich bemühten Hochdeutsch zu reden, hatte ich eine Chance.
Die 20 Minuten waren um und ich pumpte die Kammer wieder auf. Aber schon beim Aufpumpen merkte ich, dass die Luft wieder entwich, wenn man nicht mit dem Finger den Flicken festhielt. Die Moral: So ein Billigflicken ist absoluter Mist!

Egal, ich fuhr weiter und ließ die Kammer wieder mit Wasser voll laufen. Es ging unter einer sehr hohen Eisenbahnbrücke durch und ich musste an das Computerspiel Bridge-Builder denken, dass ich in letzter Zeit öfter gespielt hatte. Man muss bei diesem Spiel eine Brücke aus Stahlträgern bauen. Wenn man fertig ist, fährt ein Zug über die selbstgebaute Brücke und wenn sie gut gebaut ist und nicht einstürzt, kommt der Zug heil auf der anderen Seite an. Eine ähnlich aussehende Brücke wie diese hatte ich in dem Spiel auch schon gebaut. Und plötzlich kam auch bei der echten Brücke ein Zug von links. In dem Computerspiel hat man nach ein paar Levels so viele einstürzende Brücken und herabfallende Züge gesehen, dass man immer ganz gespannt war, wenn ein Zug die neu gebaute Brücke testete. Dieser Zug auf der echten Brücke fuhr ohne Probleme und ohne Einsturz über die Schlucht. Aber ich bildete mir doch ein, die Brücke hätte unter der Last etwas nachgegeben. Oder doch nicht?
 


Weiter ging es, aber nicht so richtig. Die Strömung hatte mehr und mehr nachgelassen. Es ging sehr zäh voran. Bis zu dem nächsten Stauwehr mit dem tollen Kraftwerk war es noch ein ganzes Stück. Es war noch nicht einmal zu sehen. Also musste ich wieder rudern. Es dauerte bestimmt eine Stunde bis ich bei dem Kraftwerk war. Das Kanu, das mich überholte, war für solche Zwecke natürlich besser geeignet, aber bei guter Strömung bevorzuge ich ein Schlauchboot. Das ist gemütlicher. Bei dem Kraftwerk wurde das Wasser aus dem Rhein seitlich in ein großes Becken geleitet. Von dort floss es in die Turbinen, die in einem großen, aus Ziegelsteinen gebauten Gebäude standen. Nur ein Teil des Wassers durfte den direkten Weg über das Stauwehr fließen, wo es im freien Fall vielleicht 10 Meter zurücklegte. Das Kraftwerk war sehr eindrucksvoll und auch sehr alt. Es wurde 1919 fertig gestellt.

  

Sehr beeindruckend war auch das künstlich angelegte Becken, von dem aus das Wasser in die Turbinen gezogen wurde. Hier gab es Strudel und Verwirbelungen und das Hineinfallen wäre lebensgefährlich. Darauf wurde mit einem Schild hingewiesen „Baden und Bootfahren verboten!“. Das war alles. Ich hatte an den zwei Tagen auf dem Rhein ein Gefühl dafür bekommen, wie ernst man Schilder nehmen sollte. Oft steht am Ufer ein Schild „Stauwehr“ und ein Pfeil, ob man links oder rechts anlegen soll. Wie man sich dann verhält, ist in der Verantwortung  jedes Einzelnen. Idiotensicher ist da nichts.
 

        
 

Eine gute Möglichkeit, das Boot umzusetzen gab es bei diesem Stauwehr nicht. Eine automatische Umsetzung war für Ende 2002 geplant, aber so lange wollte ich eigentlich nicht warten. Während ich ratlos, ziellos, aber auch neugierig umherlief, öffnete sich ein Fenster und ein Mann fragte, ob er mir helfen kann. Ich schilderte meine Lage und er sagte, ich könne das Boot auf der anderen Uferseite umsetzen. Ich bedankte mich und ging zu meinem Boot zurück. Der Mann hatte wohl seine Bedenken um meine Sicherheit und lief mir hinterher, um seine Hilfe anzubieten. Er war besorgt, dass ich nicht sicher mit dem Boot auf die andere Seite komme. Ich sagte, dass das mit dem Rudern kein Problem ist, nur das Umsetzen (Herausheben und Tragen des Bootes) ist nicht so einfach. Also ließ er mich rudern und kam zu Fuß auf die andere Seite, half mir das Boot herauszuheben und unterhalb des Wehrs wieder ins Wasser zu lassen. Das fand ich sehr nett. Überhaupt muss ich sagen, dass ich auf der Fahrt viele sehr hilfsbereite und nette Menschen getroffen habe!
Meine Reise ging in gutem Tempo weiter und ich legte eine schöne Strecke zurück. Es war später Nachmittag geworden und vor mir lag noch ein weiteres Stauwehr. Auch dieses machte seinem Namen alle Ehre und es kam zu einem Wasser-Stau. Die Strömung ließ stark nach. Es war 19 Uhr und das Wehr noch nicht einmal in Sicht. Es war kein Ort in der Nähe und ich wusste, dass die Sonne gegen 20 Uhr untergeht und es spätestens um 21 Uhr stockdunkel ist. Also legte mich in die Ruder und war tatsächlich um acht bei dem Stauwehr. Ich verließ mich darauf, dass hinter dem Stauwehr wieder gute Strömung war und wurde nicht enttäuscht. Nachdem ich das Boot selbst heraus gehoben und unten wieder eingelassen hatte, setzte ich die Fahrt rasant fort. Im Vergleich zum Fahrtbeginn bei Schaffhausen war der Rhein jetzt deutlich breiter geworden. Der Fluss Thur und mehrere kleine Flüsse hatten die Wassermenge deutlich vermehrt.

Am linken Ufer sah ich Leute und ruderte hinüber und fragte sie nach einer Unterkunft. Ich ruderte während des kurzen Gesprächs unaufhörlich mit voller Kraft gegen die Strömung und versuchte dadurch die Position zu halten, trieb aber trotzdem an ihnen vorbei. In dem kleinen Ort hätte es vielleicht eine Unterkunft gegeben, wie der Mann sagte, aber da war ich an der einzigen Anlegemöglichkeit schon vorbei. „Oder sie fahren nach Zurzach!“ rief er mir noch hinterher. Auf der Karte war Zurzach noch ein paar Kilometer entfernt, aber bei der Strömung war das kein Problem. Tatsächlich war ich um 20.30 in der Dämmerung in Zurzach, wo ich anlegte. Zwei Angler versuchten mir zu beschreiben, wo ich übernachten könnte. Nicht so einfach, wenn man nur jedes zweite Wort versteht. Dabei trennte mich doch nur der Rhein vom deutschen Ufer. Ich war auf der Schweizer Seite. Es kam noch ein Junge hinzu, vielleicht 16 Jahre alt, der in einem Kanu-Verein war und mir anbot, das Schlauchboot über Nacht bei dem Verein hinter den Schuppen zu stellen. Das war eine gute Idee. Als es um die Übernachtung ging, kam aber der jugendliche Leichtsinn durch, denn er sagte allen Ernstes, ich solle mich doch einfach in das Boot legen und mich treiben lassen. Total beknackt, vor allem weil da ständig Stauwehre kommen. Er sagte „Da kommen jetzt keine mehr!“. Anscheinend war der Bubi noch nicht weiter als 10 km vom Heimatort entfernt gewesen, denn bis Basel kommen noch einige Staustufen!
Dann fiel ihm aber ein, dass der Rhein an manchen Stellen sehr flach wird und man da besser überhaupt nicht mit einem Schlauchboot fahren sollte, auch nicht tagsüber. Er sei schließlich in einem Kanu-Verein und wisse wovon er spreche. Jetzt sagte ich nur noch nickend: „Ach so! Ja! Natürlich!“. Er riet mir, mit dem Zug bis Koblenz (!) zu fahren und erst dort das Boot wieder einzusetzen. „Ja klar! Koblenz! Mache ich! Danke für den Tipp!“. Der glaubt doch nicht allen Ernstes, dass ich mit dem Zug bis nach Rheinland-Pfalz fahre und erst in Koblenz, wo die Mosel in den Rhein fließt, meine Fahrt fortsetze! Ich ging davon aus, dass dem Typ unter seinem Lockenhaupt ein paar Sicherungen durchgebrannt waren. Später sah ich aber auf der Karte, dass das übernächste Örtchen tatsächlich Koblenz hieß. Aber für mich war klar, dass ich nicht mit dem Zug fahre! Da müsste ich ja die Luft ablassen und dann das Boot in Koblenz wieder aufpumpen. Und ich konnte mir auch nicht vorstellen, dass der Rhein urplötzlich auf der ganzen Breite zu flach zum Fahren wird. Aber erst mal hatte ich andere Sorgen. Ich musste mir eine Bleibe für die Nacht suchen.
Bei der ersten Pension, die mir von den Anglern empfohlen worden war, öffnete niemand mehr, obwohl es erst 21 Uhr war. Nur weil zufällig ein Gast seinen Schlüssel vergessen hatte, kam die Wirtin noch einmal herunter und öffnete die Tür. So konnte ich doch bleiben. Die alte, aber rüstige Dame führte mich die Treppe hinauf. Das Haus war mit allem spießigen Schnickschnack ausgerüstet, den man sich vorstellen kann. An der Wand reihten sich Puppen und Setzkästen an Tafeln mit weisen Sprüchen, Jesuskreuzen, Ziertellern, gehäkelten Deckchen, usw. Kaum ein Quadratzentimeter Wand war noch frei. Sie zeigte mir mein Zimmer und verschwand dann wieder um sich hinzulegen, weil sie um halb fünf jeden Morgen aufsteht! Da stand ich nun in diesem Zimmer und es gab hier kaum weniger Staubfänger als im Flur. Es wachten kitschige Gemälde von Jesus mit Heiligenschein und ein Marienbild über dem Bett. Alles war Oma-kompatibel eingerichtet von Vorhängen, Deckchen über Kissen und Tapete. Mein Blick fiel auf das Nachttischchen. Ich dachte mir „Jede Wette, dass da eine Bibel drin liegt!“. Dafür hätte ich mein Schlauchboot verwettet. Ich ging hinüber, öffnete die Schublade und mir fiel die Kauleiste bis auf den Boden. Nix mit Bibel, ein Kondom lag drin! Durex super! Es gibt immer noch Überraschungen im Leben!
 

Zurzach soll ein netter Ort sein, hatte man mir gesagt,  und ich musste noch ca. 20 Schweizer Franken loswerden, weil ich nichts blöder finde, als Urlaubsgeld zurück zu wechseln. Also ging ich zu einer Pizzeria und tauschte mein ganzes Geld (bis auf das für die Übernachtung) gegen lecker Pizza. An diesem Tag war ich wirklich todmüde von der vielen Ruderei. Also ging’s danach ab in die Koje.

 

3. Tag:

Das Frühstück muss ich positiv hervorheben. Die gute Frau bot mir wohlschmeckende Brötchen und selbstgebackenes Brot an, dazu selbstgekochte Marmelade, hervorragenden Käse und sie sagte, ich solle mir doch etwas für unterwegs mitnehmen. Auch reichte sie Himbeeren aus ihrem Garten.
Ich freute mich schon auf die Weiterfahrt, weil der Rhein hier so eine gute Strömung hatte. Heute sollte der letzte Tag der Fahrt sein, weil die Sonne so heiß von oben schien und ich höchstens noch einen Tag Sonnenbad ertragen wollte. Da halfen auch Sonnencreme, Sonnenbrille und Sonnenmütze nicht mehr viel. Oft legte ich mir zusätzlich ein Handtuch auf meine Baseballkappe, so dass ich Lichtschutzfaktor 200 hatte. Auf meiner Weiterfahrt im Rhein kam ich an die Stellen, von denen der verwirrte Balg vom Vortag erzählt hatte. Mal war es auf der linken Seite flach, mal auf der rechten. Aber schon aus der Ferne konnte man das sehen und sich dementsprechend links oder rechts halten. Es kamen auch Inseln und ich musste vorher entscheiden, ob ich links oder rechts vorbei fahre. Ich wählte den Weg, wo ich meinte, dass mehr Wasser fließt. Hat alles hervorragend geklappt und die Strömung war immer noch sehr gut. Die Fahrt machte viel Spaß!
Trotz meinem Hohn über den Jungen muss ich zugeben, dass es mir trotzdem nicht so wohl in meiner Haut war, solange ich Koblenz nicht erreicht hatte, denn Lockenköpfchen hatte wirklich eindringlich gewarnt. Ich war schon fast in Koblenz und lachte insgeheim über diesen Wichtigtuer.

Aber plötzlich sah ich direkt neben mir am Ufer ein Schild, auf dem stand „Achtung Stromschnelle! Hier Anlegestelle!“. Bevor ich zu Ende gelesen hatte, war ich schon an dem Schild vorbei getrieben. Und gegen den Strom anrudern war unmöglich.

     

Ich traf sofort die nötigen Vorkehrungen, band meine Tasche am Boot fest, und verschloss alle Seitenfächer. Hätte ich einen Mast gehabt, dann hätte ich mich daran festgekettet. Ich fuhr in Ufernähe weiter, aber die nächsten Minuten passierte nichts. Der Rhein floss schnell, aber in keiner Weise unangenehm. Auch konnte eine Straße nicht weit sein, denn ich hörte ein kontinuierliches Rauschen. Das Rauschen wurde lauter und ich begann zu zweifeln. Hinter einer Biegung sah ich dann die Stromschnellen. Schnell hielt ich mich an den Zweigen einer Weide fest, die ins Wasser hingen und überblickte die Szene. Es lagen größere Felsen im Wasser, das Wasser peitschte davor auf, an anderen Stellen waren Wellen von ca. 50 cm Höhe. Mit einem Kanu wäre mir wohler gewesen. Ein Schlauchboot kann man nicht so gut navigieren. Und wenn ich wirklich auf einen Stein fahre, kann es sein, dass ich Luft verliere. Ich überlegte, was ich machen sollte. Versuchen, hier an Land zu gehen? Das war schwer, wenn nicht unmöglich. Nicht umsonst war die andere Stelle speziell mit dem Schild als Anlegestelle markiert. Andererseits, was sollte schon groß passieren. Ich werde schon irgendwie durchkommen, entschied ich nach 5 Minuten Bedenkzeit und ließ die Zweige los. Es ging in die Wellen, etwas Wasser schwappte ins Boot. Es wurde plötzlich sehr flach, vielleicht 30 cm, so dass ich mich auf den Rand setzte. Ich musste korrigieren, mal mehr links, mal mehr rechts den herausragenden Steinen im Wasser ausweichen.

  
 

Endlich kam ich an eine Stelle, wo es wieder tiefer wurde. Hier musste ich nicht korrigieren und wartete ab, was auf mich zukam. Ich starrte konzentriert auf das Wasser vor mir. Als längere Zeit nichts passierte, schaute ich ans Ufer und merkte, dass ich mich schon die ganze Zeit nicht mehr voran bewegte, weil das Boot auf einem Wasserstrudel stillstand. Also ruderte ich kurz und war wieder im schnellen Wasser. Damit war es aber auch schon überstanden. Cool. Und halb so wild. Am Ufer sah ich jetzt ein paar Nackte liegen. War wohl ein FKK-Gebiet. Ein Mann legte sich hastig ein Handtuch über. Vielleicht war es ein inoffizieller FKK-Bereich. Es folgten ein paar Inseln, dann kam das zuvor erwähnte Koblenz und ich wusste, dass ich die unruhige Fahrt überstanden hatte, denn bis hier hätte ich ja mit dem Zug fahren sollen.

  

Dann sorgte ein neuer Zufluss für eine Extraportion Wasser. Die Aare, mir bisher nur aus dem Kreuzworträtsel bekannt, gesellte sich dazu. Der Rhein wurde jetzt groß, breit und langsam. In der Ferne sah ich Waldshut.
 

Ich ging davon aus, dass der Rhein von Stadt zu Stadt nicht sauberer wird und so war dies für mich die letzte Gelegenheit, noch einmal baden zu gehen. Dies kostete ich aus, schwamm lange vorneweg und zog mein Gummiboot hinter mir her. Waldshut war nicht so ansehnlich, Hochhäuser für Kurgäste, auch der Hang bebaut und dazu der unverbaubare Blick auf das Atomkraftwerk. An diesem fuhr ich direkt vorbei und war erstaunt, wie hoch so ein Kühlturm war. Dass man auch regenerativ Strom gewinnen kann, bewies ein weiteres Stauwehr (Dogern/Albbruck) in der Ferne. Das Übliche, wenig Strömung, rudern und als ich endlich da war, musste ich das Boot heraus nehmen. Ich sah, dass der Rhein einen Kanal abzweigte, durch den 95% des Wassers floss, besser gesagt: schoss. Hier war die schnellste Strömung, die ich auf der ganzen Fahrt gesehen hatte. Die restlichen 5% plätscherten in einen breiten Rheinarm, wo sich das Wasser so gut wie gar nicht bewegte. Hier hätte ich ein paar Stunden rudern dürfen, bis der Kanal nach 5 km wieder in den Rhein geleitet wird. Dazu hatte ich keine Lust. Sollte ich mein Boot in den Kanal setzen? Das wäre ein toller Spaß bei der Geschwindigkeit. Ich schaute mir den Kanal aus der Nähe an. Das Ufer war in einem 45° Winkel betoniert. Bei der Strömung hätte es keine Möglichkeit gegeben wieder auszusteigen. Ein Schild zeigte an: „Baden verboten! Lebensgefahr!“. Auch das Begehen des Begrenzungswalls war verboten. Das war mir zu heikel, vor allem mit der Erfahrung, die ich mit Schildern gemacht hatte. Und somit erklärte ich meine Fahrt für beendet!
Ich ließ die Luft ab, packte meinen Kram zusammen und musste zwei Kilometer zum nächsten Bahnhof in Dogern laufen. Mit dem schweren Gepäck kein Vergnügen. Vorbeifahrende Autos wollten mich nicht mitnehmen. Ganz nach Murphy’s Law fuhr mir der Zug direkt vor der Nase weg. Der nächste fuhr erst eine Stunde später. Also fuhr ich in entgegengesetzter Richtung nach Waldshut, um von dort einen Interregio zu nehmen. Ich muss nicht erwähnen, dass dieser eine halbe Stunde zu spät war und ich so den Anschluss in Basel auch nicht erreichte. Aber egal.
Auf der Rückfahrt im Zug verfolgte ich natürlich gebannt den weiteren Verlauf des Rheins. Der Kanal mit der schnellen Strömung zog sich wie eine Bobbahn parallel neben dem Rheinarm. Und plötzlich ging er direkt, ohne Vorwarnung und Umschweife in ein Kraftwerk. Dieses saugte das Wasser geradezu in sich hinein, wo die Turbinen liefen. Dass ich auch nur einen Moment überlegt hatte, ob man auf diesem Kanal mit dem Boot fahren kann schockierte mich noch im Nachhinein. Ich hätte es natürlich letztendlich nicht gemacht. Ein Lebensgefahr-Schild nimmt man schon auch irgendwie ernst.
Während ich mit dem Zug fuhr, dachte ich zurück an die Fahrt mit dem Schlauchboot. Sie war mindestens so gut, nein viel besser als ich sie mir vorher erhofft hatte. Es war faszinierend, mitten durch die Landschaft zu fahren, der Natur so nah. Oft sprangen Fische aus dem Wasser, Graureiher und andere Vögel zogen durch die Luft. Während ich die Landschaft betrachtete, lag ich gemütlich in dem Boot und ließ die Eindrücke auf mich wirken. Ich konnte jederzeit baden gehen, wenn mir danach war. Ich hatte auch mein Fitnessprogramm, wenn ich rudern musste.
In den 3 Tagen habe ich auf den 60 km, die ich zurücklegte, viel erlebt. Eine solche Fahrt will ich unbedingt wiederholen. Vielleicht schon nächstes Jahr? Vielleicht auf einem anderen Abschnitt, z.B. ab dem Bodensee? Mal sehen.
Nach einem Aufenthalt in Basel ging es weiter in die Heimat. Um 21.30 war ich zurück in Kaiserslautern. Auf dem Nachhauseweg sah ich, dass ganz bei mir in der Nähe ein kleines Straßenfest mit Bier- und Cocktailständen war, wo ich kurz vorbeischaute. Dort war ein reges Treiben und ich mischte mich unter die Leute. Ach, was war das schön, dass man die Leute wieder verstand „He! Machsche mir noch e Schoppe? Ach nää, mach glei zwää! Kannsch du mia fümf Mark wechsele? Für de Automaat!" ...

 

Nachtrag: Ich habe die Schlauchbootfahrt in den folgenden Jahren mehrfach wiederholt, mal allein, mal mit Freunden. Jedes Mal war es aufs Neue ein tolles Erlebnis!

 

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