Schlauchbootfahrt auf dem Rhein 2001 |
23.08.-26.08.2001 |
Die Idee, mit dem
Schlauchboot auf dem Rhein zu fahren hatte ich, als ich einmal in Basel war und
dort gesehen habe wie Leute im Rhein schwammen. Sie gingen am Ufer
flussaufwärts, sprangen hinein und schwammen dann durch die Stadt. Es gibt sogar
jedes Jahr im August einen Tag, der zum offiziellen Rheinschwimmertag erklärt
wird. Ich habe es damals auch probiert, bin oberhalb von Basel in den Rhein
gegangen und habe mich von der Strömung mitreißen lassen. Ich fand es ein echtes
Erlebnis, bedauerte nur, dass es ein kurzes Vergnügen war, weil die Strömung
stark war und man sich schnell von seinem Ausgangspunkt entfernt hatte. Es hat
mich gereizt, eine weitere Strecke zu schwimmen - oder noch besser mit dem
Schlauchboot zu fahren...
Diesen Wunsch erfüllte ich mir zwei Jahre später, nämlich am 23. August 2001. Es
war eine kurzfristige Entscheidung. Der Wetterbericht hatte noch ein paar
richtig heiße Tage vorhergesagt und ich hatte gerade Zeit für eine solche Fahrt.
Am Donnerstag morgen ging es los. Nicht zu früh, sonst wäre das in Stress ausgeartet. Ich fuhr mit dem 9.30-Zug nach Süden. Im Gepäck ein Schlauchboot vom Aldi mit Paddeln und eine Tasche mit etwas Kleidung, Badehose, Handtuch, Trinkflaschen, Essen. Also nichts Besonderes, kein Wildwasserkanu, kein Allzweckmesser mit Säge, Schraubenzieher und Zahnstocher, keine Seenotraketen und kein YPS-Überlebensset für die Wildnis. Ich wollte ja auf dem Rhein fahren, nicht auf dem Amazonas.
(Karte zum Vergrößern anklicken)
Ich ließ offen, wo ich mit meinem Schlauchboot genau losfuhr und wie lang die
Fahrt dauern würde. Mit dem Zug fuhr ich über Karlsruhe, Freiburg nach Basel.
Dort stieg ich um, weiter Richtung rheinaufwärts. Ich fuhr bis Schaffhausen,
machte einen Stadtbummel, besorgte mir ein paar Schweizer Franken und füllte
meinen Futtervorrat auf, nachdem ich im Zug schon die Hälfte meines Vespers
verzehrt hatte. Auch eine Karte vom Rhein kaufte ich mir. An der Sprache fiel
auf, dass ich mich auf Schweizer Boden befand (Grüezi und so). Mit dem Bus fuhr
ich zum Rheinfall, der sehr eindrucksvoll war. Ein tolles Bild, wie die
Wassermassen eine Gesamthöhe von 23 Metern hinabstürzen. Man konnte auf einer
Brücke zu Fuß den Rhein überqueren oder mit einem Ausflugsboot zu einem Felsen fahren,
der mitten im Strom steht. Solche Sperenzchen ließ ich sein, denn mein
Schlauchboot und die Tasche waren schwer genug und ich wollte keine unnötigen
Wege gehen.
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Unterhalb des Rheinfalls
pumpte ich das Schlauchboot auf, in einer Ecke wo nicht zu viele Leute vorbeikommen. Auf
warnende Hinweise von Passanten hatte ich keine Lust. Bis ich das Boot endlich
zu Wasser lassen konnte, war es Nachmittag, vielleicht 14 Uhr. Schnell noch ein
paar Brombeeren von einem Strauch gepflückt, der aus einem Garten heraus wuchs,
dann stieg ich in das Boot und stieß mich vom Ufer ab. Wohin die Reise ging, wie
lang sie sein würde und was mich erwarten könnte, wusste ich nicht. Aber genau
das war es, was mich reizte.
Die Strömung war stark und es ging flott voran. Ehe ich mich versah, war ich dem
Touristennest am Rheinfall entflohen. Die Sonne schien heiß von oben und ich
konnte mich nach den Reisestrapazen und der Schlauchbootschlepperei endlich
gemütlich zurücklehnen. Ich kann es kaum beschreiben. Es war wunderbar und genau
so wie ich es mir vorgestellt hatte. Einfach so daliegen, sich treiben lassen,
die Landschaft wie einen Film vorbeiziehen zu lassen. Es war super, fantastisch,
unglaublich und so perfekt, dass ich überlegte, wo bei der Sache der Haken ist.
Da hörte ich auch schon das leise Zischen, während die Luft entwich und sich die
Luftkammern leerten - dachte ich, aber nichts dergleichen passierte! Ich glitt einfach so dahin. Ganz ruhig und sachte, als gäbe es keine Strömung.
Nur wenn ich ans Ufer schaute, sah ich wie schnell ich wirklich war. Das Boot
drehte sich manchmal von selbst, als wollte der Rhein mir alle Ansichten von
sich zeigen.
Ich kam an einer Badeanstalt vorbei, wo man im Rhein schwimmen konnte. Dort
machte ich halt, sprang von einem Sprungbrett ins Wasser und ließ mich
schwimmenderweise bis zu dem Ausstieg etwas weiter flussabwärts treiben. Also so
etwas wie in Basel, nur auf kleinstem Raum. Auch habe ich hier in Ufernähe
ausprobiert, ob ich vom Wasser aus in das Boot klettern kann, falls ich einmal
in diese Verlegenheit kommen sollte. Das hat funktioniert und so wusste ich,
dass ich auch mitten auf dem Fluss vom Boot aus baden konnte. Ich fuhr weiter.
Manchmal saßen Leute am Ufer und grillten, ich sah Pfadfindergruppen, Familien,
ein Stück begleiteten mich zwei Luftmatratzenfahrer, die sich wohl in der Nähe
des Schlauchboots sicherer fühlten. Obwohl so ein großer Fluss sehr mächtig sein
kann, wie ich beim Rheinfall gesehen hatte, fühlte ich mich auf dem breiten
Fahrwasser sehr wohl. Etwas unsicher ist man vorher schon, wenn andere Leute
warnen: Was? Mit einem Aldi-Schlauchboot fährst du auf dem Rhein rum? Wenn da
etwas passiert! Und es ist niemand dabei! Hast du keine Schwimmweste mit? Viel
zu gefährlich! usw.. Bisher ging alles reibungslos. Der Wetterbericht hatte
Traumtemperaturen vorhergesagt. Es war schon etwas leichtsinnig, dass ich noch
nicht einmal eine Jacke dabei hatte, das gebe ich zu. Aber ich darf
vorwegnehmen, dass ich sie auch nicht gebraucht habe.
Irgendwann kam bei Rheinau das erste Stauwehr. Hier musste ich das Boot
herausnehmen und unterhalb wieder reinsetzen. Es gibt elektrische,
ferngesteuerte Wagen, mit denen man das Boot umsetzen kann. Diese fahren auf
Schienen in das Wasser, man rudert an die richtige Stelle und der Wagen fährt
zurück, holt dabei das Boot aus dem Wasser und setzt es unterhalb des Wehrs
wieder hinein. Es gibt eine zentrale Stelle, wo jemand die Wagen von mehreren
Stauwehren steuert und die Umsetzung mit Kameras überwacht. Mit meinem
Schlauchboot war mir das zu peinlich, extra die Leute zu bemühen und so ich habe
es getragen. Ich wollte nicht, dass die nur wegen eines Schlauchbootes ihren
Wagen in Gang setzen.
Hinter dem Stauwehr war plötzlich die Strömung weg. Ich konnte das zuerst gar nicht verstehen. Das Wasser muss doch irgendwo hinfließen und kann nicht einfach weg sein! Das ist doch unlogisch! Bei einem Blick auf die Karte ahnte ich, was hier passierte. Der Rhein floss in einer weiten Schleife und kam dann in vielleicht 1km Entfernung von dem ersten Stauwehr wieder vorbei. An dieser Stelle gab es wieder ein Stauwehr. Das sieht aus, als würde ein Großteil des Wassers eine Abkürzung fließen. Anwohner bestätigten später die Vermutung: Es gab ein Kraftwerk, das das Wasser bei dem oberen Stauwehr abzapfte. Es wurde durch Rohre in das Kraftwerk und hinter der Schleife wieder in den Rhein geleitet. Klar, dass in der Schleife fast keine Strömung war. Das musste ich durch Muskelkraft ausgleichen. Was so viel heißt wie: An die Ruder! Während ich mir vorher wirklich ein bisschen vorkam wie auf dem Amazonas, fühlte ich mich jetzt wie in einer phönizischen Galeere.
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Das Frühstück war ok. War halt Aldi-Kram ganz nett serviert. Viele andere Gäste
waren nicht da. Nur ein Schwabe, der versucht hat, den Preis zu drücken, weil er
zu dem Frühstück selber Brötchen mitgebracht hat! Fand ich äußerst peinlich!
Meine größte Sorge war, dass mein Schlauchboot nicht mehr da war und was ich
machen würde, wenn es weg wäre! Doch kein Problem. Das treue Boot erwartete mich im Wasser. Aber etwas
hatte sich verändert: Der Rhein hatte in der Schleife plötzlich starke Strömung! Die unterhalb
liegende Schleuse war geöffnet. Das Umsetzen von Booten bei diesem Stauwehr
musste man auf der anderen Seite des Rheins machen. Das war nicht ganz einfach,
bei der Strömung schnell und noch vor dem Wehr auf die andere Seite zu kommen.
Ich probierte aus, wie stark ich gegen die Strömung rudern konnte und es wäre
schon gegangen. Aber trotzdem haben Leute, die ich am Vortag schon gesehen
hatte, darauf bestanden, mich mit ihrem Motorboot rüber zu ziehen. Das taten sie
dann auch. Sie waren mit ihrem Boot Richtung stromabwärts unterwegs und sagten,
ich könne ruhig so einen ferngesteuerten Wagen für mein Schlauchboot benutzen.
Zuerst ließen sie ihr Boot umsetzen, dann kam der Wagen zurück, fuhr auf mich zu
und tauchte vor mir halb in das Wasser ein. Ich ruderte ihm entgegen. Um
schneller agieren zu können war ich in die Hocke gegangen. Ein Fehler, denn der
Wagen hatte einen Metallboden mit Profil für mehr Rutschfestigkeit. Das Boot
setzte etwas hart auf dem Boden auf und ich hoffte, dass das Schlauchboot nicht
beschädigt wurde. In dem Moment hatte ich aber andere Sorgen und musste mich um
die Umsetzung kümmern. Später merkte ich, dass doch eine der beiden Bodenkammern
bei der Aktion ein Loch bekommen hatte. Nicht so schlimm, denn die Bodenkammern
sind für die Schwimmfähigkeit des Bootes nicht erforderlich. Und Flickzeug hatte
ich dabei.
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Die Umsetzung bei der Schleuse hat dafür gut geklappt. Der Wagen fuhr auf
Schienen aus dem Wasser. Darauf lag das Schlauchboot, in dem ich saß wie ein
Badewannenkapitän. Ich fuhr seitlich an dem Stauwehr vorbei. Der Wagen fuhr nach
unten und ich wurde unterhalb des Stauwehrs zu Wasser gelassen und konnte die
Fahrt fortsetzen. Es folgte ein weiteres Wehr. Diesmal war ich Profi und
verlagerte mein Gewicht beim Auffahren auf den Rand des Bootes, so dass der
Boden nicht hart aufsetzte. Alles klappte bestens. Dann hatte ich die Schleife
im Rhein hinter mich gebracht und kam an die Stelle, wo das Wasser aus dem
Kraftwerk wieder eingeleitet wurde. Ab hier hatte ich wieder richtig gute
Strömung und es ging mit voller Fahrt weiter.
Manchmal wurde der Rhein breiter und flacher, so dass ich den Grund sehen
konnte. Die hellen Steine in 2 Meter Tiefe huschten unter mir vorbei. Es ging an
Ortschaften vorbei, Weinbergen, unter einer Brücke hindurch. Da fiel mir auf,
dass dies die erste Brücke auf meiner Fahrt war. Es folgte eine weitere, tiefere
Brücke, nicht ganz 10 Meter hoch, von der Jungs und Mädels herab sprangen. Die
hatten einen Riesenspaß und es war ein Gegröle und Gejohle. Einige stellten sich
auf ein Brett, das an der Brücke befestigt war. Auf diesem Brett konnten sie nur
durch die Strömung Wasserski fahren. Ich fuhr als Zuschauer mitten durch das
Geschehen und ließ die Szene hinter mir. Wenn ich nicht durch einen Ort fuhr,
bildeten Wald oder Wiese das Ufer. Da saß mal ein Angler oder Leute, die
Picknick machten. Ab und zu fuhr jemand in einem Boot vorbei, aber in einem
Schlauchboot sah ich sonst niemand.
In dem
Ort Eglisau machte ich halt, um die defekte Luftkammer zu flicken, denn sie
hatte sich schon mit Wasser gefüllt und es wurde kühl von unten, was bei den
hohen Temperaturen aber nichts machte. An einer Liegewiese am Ufer gingen die
Leute baden und dies schien mir der richtige Ort für eine Rast zu sein. Ich ließ
einen 4-jährigen Jungen mit meiner Luftpumpe spielen, während ich versuchte, die
Kammer zu reparieren. In der Anleitung zum Flickzeug stand, man solle die
geklebte Stelle 24 Stunden trocknen lassen, bevor man wieder Luft hinein pumpt!
So viel Zeit hatte ich natürlich nicht. Aber ich hatte noch einen
selbstklebenden Billigflicken von einem Kinderschlauchboot dabei. Darauf stand:
Abziehen, draufkleben und 20 Minuten trocknen lassen. Das war schon eher
interessant für mich! Also folgte ich der Anleitung, klebte den Flicken, wartete
20 Minuten, in denen ich neugierige Fragen von Leuten beantworten musste, wo
ich herkam und wo ich hinwollte. Jetzt fühlte ich mich wie Christoph Kolumbus
als er Amerika entdeckt hatte und von den Einheimischen begrüßt wurde. Die Leute
wollten wissen, ob ich wirklich bis Basel fahren wollte. Das war zwar mein Ziel,
aber wenn ich auf der Karte guckte, wie weit ich bisher gekommen war, war das
schon utopisch. Der Rhein fließt nicht gerade Luftlinie und hat manchmal mehr,
manchmal weniger Strömung. Zudem gab es die Unterbrechungen durch Stauwehre. Der
Vater von dem Jungen, der immer noch mit der Pumpe spielte, sagte, es käme bald
ein großes altes Wasserkraftwerk, das sehr sehenswert sei. Es war nicht leicht,
die Leute gut zu verstehen. Ich kam mir vor wie im tiefsten Schweizer Ur-Kanton.
Nur wenn die Leute sich bemühten Hochdeutsch zu reden, hatte ich eine Chance.
Die 20 Minuten waren um und ich pumpte die Kammer wieder auf. Aber schon beim
Aufpumpen merkte ich, dass die Luft wieder entwich, wenn man nicht mit dem Finger
den Flicken festhielt. Die Moral: So ein Billigflicken ist absoluter Mist!
Egal, ich
fuhr weiter und ließ die Kammer wieder mit Wasser voll laufen. Es ging unter
einer sehr hohen Eisenbahnbrücke durch und ich musste an das Computerspiel
Bridge-Builder denken,
dass ich in letzter Zeit öfter gespielt hatte. Man muss bei diesem Spiel eine Brücke aus Stahlträgern bauen.
Wenn man fertig ist, fährt ein Zug über die selbstgebaute Brücke und wenn sie
gut gebaut ist und nicht einstürzt, kommt der Zug heil auf der anderen Seite an.
Eine ähnlich aussehende Brücke wie diese hatte ich in dem Spiel auch schon gebaut. Und
plötzlich kam auch bei der echten Brücke ein Zug von links. In dem Computerspiel hat man nach ein paar
Levels so viele einstürzende Brücken und herabfallende Züge gesehen, dass man
immer ganz gespannt war, wenn ein Zug die neu gebaute Brücke testete. Dieser Zug
auf der echten Brücke fuhr ohne Probleme und ohne Einsturz über die Schlucht.
Aber ich bildete mir doch ein, die Brücke hätte unter der Last etwas
nachgegeben. Oder doch nicht?
Weiter ging es, aber nicht
so richtig. Die Strömung hatte mehr und mehr nachgelassen. Es ging sehr zäh
voran. Bis zu dem nächsten Stauwehr mit dem tollen Kraftwerk war es noch ein
ganzes Stück. Es war noch nicht einmal zu sehen. Also musste ich wieder rudern.
Es dauerte bestimmt eine Stunde bis ich bei dem Kraftwerk war. Das Kanu, das
mich überholte, war für solche Zwecke natürlich besser geeignet, aber bei guter
Strömung bevorzuge ich ein Schlauchboot. Das ist gemütlicher. Bei dem Kraftwerk
wurde das Wasser aus dem Rhein seitlich in ein großes Becken geleitet. Von dort
floss es in die Turbinen, die in einem großen, aus Ziegelsteinen gebauten
Gebäude standen. Nur ein Teil des Wassers durfte den direkten Weg über das
Stauwehr fließen, wo es im freien Fall vielleicht 10 Meter zurücklegte. Das
Kraftwerk war sehr eindrucksvoll und auch sehr alt. Es wurde 1919 fertig
gestellt.
Sehr beeindruckend war auch das künstlich angelegte Becken, von dem aus das
Wasser in die Turbinen gezogen wurde. Hier gab es Strudel und Verwirbelungen und
das Hineinfallen wäre lebensgefährlich. Darauf wurde mit einem Schild
hingewiesen „Baden und Bootfahren verboten!“. Das war alles. Ich hatte an den
zwei Tagen auf dem Rhein ein Gefühl dafür bekommen, wie ernst man Schilder
nehmen sollte. Oft steht am Ufer ein Schild „Stauwehr“ und ein Pfeil, ob man
links oder rechts anlegen soll. Wie man sich dann verhält, ist in der
Verantwortung jedes
Einzelnen. Idiotensicher ist da nichts.
Eine gute Möglichkeit, das
Boot umzusetzen gab es bei diesem Stauwehr nicht. Eine automatische Umsetzung
war für Ende 2002 geplant, aber so lange wollte ich eigentlich nicht warten.
Während ich ratlos, ziellos, aber auch neugierig umherlief, öffnete sich ein
Fenster und ein Mann fragte, ob er mir helfen kann. Ich schilderte meine Lage
und er sagte, ich könne das Boot auf der anderen Uferseite umsetzen. Ich
bedankte mich und ging zu meinem Boot zurück. Der Mann hatte wohl seine Bedenken
um meine Sicherheit und lief mir hinterher, um seine Hilfe anzubieten. Er war
besorgt, dass ich nicht sicher mit dem Boot auf die andere Seite komme. Ich
sagte, dass das mit dem Rudern kein Problem ist, nur das Umsetzen (Herausheben
und Tragen des Bootes) ist nicht so einfach. Also ließ er mich rudern und kam zu
Fuß auf die andere Seite, half mir das Boot herauszuheben und unterhalb des
Wehrs wieder ins Wasser zu lassen. Das fand ich sehr nett. Überhaupt muss ich
sagen, dass ich auf der Fahrt viele sehr hilfsbereite und nette Menschen
getroffen habe!
Meine Reise ging in gutem Tempo weiter und ich legte eine schöne Strecke zurück.
Es war später Nachmittag geworden und vor mir lag noch ein weiteres Stauwehr.
Auch dieses machte seinem Namen alle Ehre und es kam zu einem Wasser-Stau. Die
Strömung ließ stark nach. Es war 19 Uhr und das Wehr noch nicht einmal in Sicht.
Es war kein Ort in der Nähe und ich wusste, dass die Sonne gegen 20 Uhr
untergeht und es spätestens um 21 Uhr stockdunkel ist. Also legte mich in die
Ruder und war tatsächlich um acht bei dem Stauwehr. Ich verließ mich darauf,
dass hinter dem Stauwehr wieder gute Strömung war und wurde nicht enttäuscht.
Nachdem ich das Boot selbst heraus gehoben und unten wieder eingelassen hatte,
setzte ich die Fahrt rasant fort. Im Vergleich zum Fahrtbeginn bei Schaffhausen
war der Rhein jetzt deutlich breiter geworden. Der Fluss Thur und mehrere kleine
Flüsse hatten die Wassermenge deutlich vermehrt.
Am linken Ufer sah ich Leute und ruderte hinüber und fragte sie nach einer
Unterkunft. Ich ruderte während des kurzen Gesprächs unaufhörlich mit voller
Kraft gegen die Strömung und versuchte dadurch die Position zu halten, trieb
aber trotzdem an ihnen vorbei. In dem kleinen Ort hätte es vielleicht eine
Unterkunft gegeben, wie der Mann sagte, aber da war ich an der einzigen
Anlegemöglichkeit schon vorbei. „Oder sie fahren nach Zurzach!“ rief er mir noch
hinterher. Auf der Karte war Zurzach noch ein paar Kilometer entfernt, aber bei
der Strömung war das kein Problem. Tatsächlich war ich um 20.30 in der Dämmerung
in Zurzach, wo ich anlegte. Zwei Angler versuchten mir zu beschreiben, wo ich
übernachten könnte. Nicht so einfach, wenn man nur jedes zweite Wort versteht.
Dabei trennte mich doch nur der Rhein vom deutschen Ufer. Ich war auf der
Schweizer Seite. Es kam noch ein Junge hinzu, vielleicht 16 Jahre alt, der in
einem Kanu-Verein war und mir anbot, das Schlauchboot über Nacht bei dem Verein
hinter den Schuppen zu stellen. Das war eine gute Idee. Als es um die
Übernachtung ging, kam aber der jugendliche Leichtsinn durch, denn er sagte
allen Ernstes, ich solle mich doch einfach in das Boot legen und mich treiben
lassen. Total beknackt, vor allem weil da ständig Stauwehre kommen. Er sagte „Da
kommen jetzt keine mehr!“. Anscheinend war der Bubi noch nicht weiter als 10 km
vom Heimatort entfernt gewesen, denn bis Basel kommen noch einige Staustufen!
Dann fiel ihm aber ein, dass der Rhein an manchen Stellen sehr flach wird und
man da besser überhaupt nicht mit einem Schlauchboot fahren sollte, auch nicht
tagsüber. Er sei schließlich in einem Kanu-Verein und wisse wovon er spreche.
Jetzt sagte ich nur noch nickend: „Ach so! Ja! Natürlich!“. Er riet mir, mit dem
Zug bis Koblenz (!) zu fahren und erst dort das Boot wieder einzusetzen. „Ja
klar! Koblenz! Mache ich! Danke für den Tipp!“. Der glaubt doch nicht allen
Ernstes, dass ich mit dem Zug bis nach Rheinland-Pfalz fahre und erst in
Koblenz, wo die Mosel in den Rhein fließt, meine Fahrt fortsetze! Ich ging davon aus, dass dem Typ
unter seinem Lockenhaupt ein paar Sicherungen durchgebrannt waren. Später sah
ich aber auf der Karte, dass das übernächste Örtchen tatsächlich Koblenz hieß.
Aber für mich war klar, dass ich nicht mit dem Zug fahre! Da müsste ich ja die
Luft ablassen und dann das Boot in Koblenz wieder aufpumpen. Und ich konnte mir
auch nicht vorstellen, dass der Rhein urplötzlich auf der ganzen Breite zu flach
zum Fahren wird. Aber erst mal hatte ich andere Sorgen. Ich musste mir eine
Bleibe für die Nacht suchen.
Bei der ersten Pension, die mir von den Anglern empfohlen worden war, öffnete
niemand mehr, obwohl es erst 21 Uhr war. Nur weil zufällig ein Gast seinen
Schlüssel vergessen hatte, kam die Wirtin noch einmal herunter und öffnete die
Tür. So konnte ich doch bleiben. Die alte, aber rüstige Dame führte mich die
Treppe hinauf. Das Haus war mit allem spießigen Schnickschnack ausgerüstet, den
man sich vorstellen kann. An der Wand reihten sich Puppen und Setzkästen an
Tafeln mit weisen Sprüchen, Jesuskreuzen, Ziertellern, gehäkelten Deckchen, usw.
Kaum ein Quadratzentimeter Wand war noch frei. Sie zeigte mir mein Zimmer und
verschwand dann wieder um sich hinzulegen, weil sie um halb fünf jeden Morgen
aufsteht! Da stand ich nun in diesem Zimmer und es gab hier kaum weniger
Staubfänger als im Flur. Es wachten kitschige Gemälde von Jesus mit
Heiligenschein und ein Marienbild über dem Bett. Alles war Oma-kompatibel
eingerichtet von Vorhängen, Deckchen über Kissen und Tapete. Mein Blick fiel auf
das Nachttischchen. Ich dachte mir „Jede Wette, dass da eine Bibel drin liegt!“.
Dafür hätte ich mein Schlauchboot verwettet. Ich ging hinüber, öffnete die
Schublade und mir fiel die Kauleiste bis auf den Boden. Nix mit Bibel, ein
Kondom lag drin! Durex super! Es gibt immer noch Überraschungen im Leben!
Zurzach soll ein netter Ort sein, hatte man mir gesagt, und ich musste noch ca. 20 Schweizer Franken loswerden, weil ich nichts blöder finde, als Urlaubsgeld zurück zu wechseln. Also ging ich zu einer Pizzeria und tauschte mein ganzes Geld (bis auf das für die Übernachtung) gegen lecker Pizza. An diesem Tag war ich wirklich todmüde von der vielen Ruderei. Also ging’s danach ab in die Koje.
Das Frühstück muss ich positiv hervorheben. Die gute Frau bot mir
wohlschmeckende Brötchen und selbstgebackenes Brot an, dazu selbstgekochte
Marmelade, hervorragenden Käse und sie sagte, ich solle mir doch etwas für
unterwegs mitnehmen. Auch reichte sie Himbeeren aus ihrem Garten.
Ich freute mich schon auf die Weiterfahrt, weil der Rhein hier so eine gute
Strömung hatte. Heute sollte der letzte Tag der Fahrt sein, weil die Sonne so
heiß von oben schien und ich höchstens noch einen Tag Sonnenbad ertragen wollte.
Da halfen auch Sonnencreme, Sonnenbrille und Sonnenmütze nicht mehr viel. Oft
legte ich mir zusätzlich ein Handtuch auf meine Baseballkappe, so dass ich
Lichtschutzfaktor 200 hatte. Auf meiner Weiterfahrt im Rhein kam ich an die
Stellen, von denen der verwirrte Balg vom Vortag erzählt hatte. Mal war es auf
der linken Seite flach, mal auf der rechten. Aber schon aus der Ferne konnte man
das sehen und sich dementsprechend links oder rechts halten. Es kamen auch
Inseln und ich musste vorher entscheiden, ob ich links oder rechts vorbei fahre.
Ich wählte den Weg, wo ich meinte, dass mehr Wasser fließt. Hat alles
hervorragend geklappt und die Strömung war immer noch sehr gut. Die Fahrt machte
viel Spaß!
Trotz meinem Hohn über den Jungen muss ich zugeben, dass es mir trotzdem nicht
so wohl in meiner Haut war, solange ich Koblenz nicht erreicht hatte, denn
Lockenköpfchen hatte wirklich eindringlich gewarnt. Ich war schon fast in
Koblenz und lachte insgeheim über diesen Wichtigtuer.
Aber plötzlich sah ich direkt neben mir am Ufer ein Schild, auf dem stand „Achtung Stromschnelle! Hier Anlegestelle!“. Bevor ich zu Ende gelesen hatte, war ich schon an dem Schild vorbei getrieben. Und gegen den Strom anrudern war unmöglich.
Ich traf sofort die nötigen Vorkehrungen, band meine Tasche am Boot fest, und verschloss alle Seitenfächer. Hätte ich einen Mast gehabt, dann hätte ich mich daran festgekettet. Ich fuhr in Ufernähe weiter, aber die nächsten Minuten passierte nichts. Der Rhein floss schnell, aber in keiner Weise unangenehm. Auch konnte eine Straße nicht weit sein, denn ich hörte ein kontinuierliches Rauschen. Das Rauschen wurde lauter und ich begann zu zweifeln. Hinter einer Biegung sah ich dann die Stromschnellen. Schnell hielt ich mich an den Zweigen einer Weide fest, die ins Wasser hingen und überblickte die Szene. Es lagen größere Felsen im Wasser, das Wasser peitschte davor auf, an anderen Stellen waren Wellen von ca. 50 cm Höhe. Mit einem Kanu wäre mir wohler gewesen. Ein Schlauchboot kann man nicht so gut navigieren. Und wenn ich wirklich auf einen Stein fahre, kann es sein, dass ich Luft verliere. Ich überlegte, was ich machen sollte. Versuchen, hier an Land zu gehen? Das war schwer, wenn nicht unmöglich. Nicht umsonst war die andere Stelle speziell mit dem Schild als Anlegestelle markiert. Andererseits, was sollte schon groß passieren. Ich werde schon irgendwie durchkommen, entschied ich nach 5 Minuten Bedenkzeit und ließ die Zweige los. Es ging in die Wellen, etwas Wasser schwappte ins Boot. Es wurde plötzlich sehr flach, vielleicht 30 cm, so dass ich mich auf den Rand setzte. Ich musste korrigieren, mal mehr links, mal mehr rechts den herausragenden Steinen im Wasser ausweichen.
Endlich kam ich an eine Stelle, wo es wieder tiefer wurde. Hier musste ich nicht korrigieren und wartete ab, was auf mich zukam. Ich starrte konzentriert auf das Wasser vor mir. Als längere Zeit nichts passierte, schaute ich ans Ufer und merkte, dass ich mich schon die ganze Zeit nicht mehr voran bewegte, weil das Boot auf einem Wasserstrudel stillstand. Also ruderte ich kurz und war wieder im schnellen Wasser. Damit war es aber auch schon überstanden. Cool. Und halb so wild. Am Ufer sah ich jetzt ein paar Nackte liegen. War wohl ein FKK-Gebiet. Ein Mann legte sich hastig ein Handtuch über. Vielleicht war es ein inoffizieller FKK-Bereich. Es folgten ein paar Inseln, dann kam das zuvor erwähnte Koblenz und ich wusste, dass ich die unruhige Fahrt überstanden hatte, denn bis hier hätte ich ja mit dem Zug fahren sollen.
Dann sorgte ein neuer Zufluss für eine
Extraportion Wasser. Die Aare, mir bisher nur aus dem Kreuzworträtsel bekannt,
gesellte sich dazu. Der Rhein wurde jetzt groß, breit und langsam. In der Ferne
sah ich Waldshut.
Ich ging davon aus, dass
der Rhein von Stadt zu Stadt nicht sauberer wird und so war dies für mich die
letzte Gelegenheit, noch einmal baden zu gehen. Dies kostete ich aus, schwamm
lange vorneweg und zog mein Gummiboot hinter mir her. Waldshut war nicht so
ansehnlich, Hochhäuser für Kurgäste, auch der Hang bebaut und dazu der
unverbaubare Blick auf das Atomkraftwerk. An diesem fuhr ich direkt vorbei und
war erstaunt, wie hoch so ein Kühlturm war. Dass man auch regenerativ Strom
gewinnen kann, bewies ein weiteres Stauwehr (Dogern/Albbruck) in der Ferne. Das
Übliche, wenig Strömung, rudern und als ich endlich da war, musste ich das Boot
heraus nehmen. Ich sah, dass der Rhein einen Kanal abzweigte, durch den 95% des
Wassers floss, besser gesagt: schoss. Hier war die schnellste Strömung, die ich
auf der ganzen Fahrt gesehen hatte. Die restlichen 5% plätscherten in einen
breiten Rheinarm, wo sich das Wasser so gut wie gar nicht bewegte. Hier hätte
ich ein paar Stunden rudern dürfen, bis der Kanal nach 5 km wieder in den Rhein
geleitet wird. Dazu hatte ich keine Lust. Sollte ich mein Boot in den Kanal
setzen? Das wäre ein toller Spaß bei der Geschwindigkeit. Ich schaute mir den
Kanal aus der Nähe an. Das Ufer war in einem 45° Winkel betoniert. Bei der
Strömung hätte es keine Möglichkeit gegeben wieder auszusteigen. Ein Schild
zeigte an: „Baden verboten! Lebensgefahr!“. Auch das Begehen des
Begrenzungswalls war verboten. Das war mir zu heikel, vor allem mit der
Erfahrung, die ich mit Schildern gemacht hatte. Und somit erklärte ich meine
Fahrt für beendet!
Ich ließ die Luft ab, packte meinen Kram zusammen und musste zwei Kilometer zum nächsten
Bahnhof in Dogern laufen. Mit dem schweren Gepäck kein Vergnügen. Vorbeifahrende
Autos wollten mich nicht mitnehmen. Ganz nach Murphy’s Law fuhr mir der Zug
direkt vor der Nase weg. Der nächste fuhr erst eine Stunde später. Also fuhr ich
in entgegengesetzter Richtung nach Waldshut, um von dort einen Interregio zu
nehmen. Ich muss nicht erwähnen, dass dieser eine halbe Stunde zu spät war und
ich so den Anschluss in Basel auch nicht erreichte. Aber egal.
Auf der Rückfahrt im Zug verfolgte ich natürlich gebannt den weiteren Verlauf
des Rheins. Der Kanal mit der schnellen Strömung zog sich wie eine Bobbahn
parallel neben dem Rheinarm. Und plötzlich ging er direkt, ohne Vorwarnung und
Umschweife in ein Kraftwerk. Dieses saugte das Wasser geradezu in sich hinein,
wo die Turbinen liefen. Dass ich auch nur einen Moment überlegt hatte, ob man
auf diesem Kanal mit dem Boot fahren kann schockierte mich noch im Nachhinein.
Ich hätte es natürlich letztendlich nicht gemacht. Ein Lebensgefahr-Schild nimmt
man schon auch irgendwie ernst.
Während ich mit dem Zug fuhr, dachte ich zurück an die Fahrt mit dem
Schlauchboot. Sie war mindestens so gut, nein viel besser als ich sie mir vorher
erhofft hatte. Es war faszinierend, mitten durch die Landschaft zu fahren, der
Natur so nah. Oft sprangen Fische aus dem Wasser, Graureiher und andere Vögel
zogen durch die Luft. Während ich die Landschaft betrachtete, lag ich gemütlich
in dem Boot und ließ die Eindrücke auf mich wirken. Ich konnte jederzeit baden
gehen, wenn mir danach war. Ich hatte auch mein Fitnessprogramm, wenn ich rudern
musste.
In den 3 Tagen habe ich auf den 60 km, die ich zurücklegte, viel erlebt. Eine
solche Fahrt will ich unbedingt wiederholen. Vielleicht schon nächstes Jahr?
Vielleicht auf einem anderen Abschnitt, z.B. ab dem Bodensee? Mal sehen.
Nach einem Aufenthalt in Basel ging es weiter in die Heimat. Um 21.30 war ich
zurück in Kaiserslautern. Auf dem Nachhauseweg sah ich, dass
ganz bei mir in der Nähe ein kleines Straßenfest mit Bier- und Cocktailständen war, wo
ich kurz vorbeischaute. Dort war ein reges Treiben und ich mischte mich
unter die Leute. Ach, was war das schön, dass man die Leute wieder verstand „He! Machsche mir noch e Schoppe? Ach nää, mach glei zwää! Kannsch du mia fümf Mark
wechsele? Für de Automaat!" ...
Nachtrag: Ich habe die Schlauchbootfahrt in den folgenden Jahren mehrfach wiederholt, mal allein, mal mit Freunden. Jedes Mal war es aufs Neue ein tolles Erlebnis!
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